Moderne Buchkunst seit 1960 - Eine private Sicht -  
   

Julia Kissina - Russland

E-Mail vom 22.02.2004

Originaltext

 

Oft hat mir mein Vater aus der Buchhandlung Bücher mitgebracht. Die Bücher haben nach Druckfarbe gerochen und ich habe sie mit großem Vergnügen gelesen. Während des Lesens tauchten Düfte auf, auch Töne und Farben. Das Buch ist ein Ort der Sinne, ein Ort der Sehnsucht geworden. In diesem Sinne macht es mir Spaß, ein Buch zu lesen, ein Buch zu halten. Später hatte ich Lust, Bücher selbst zu meinem Thema zu machen. Pirandello hat sich diese Aufgabe in seinem Werk "Sechs Personen suchen einen Autor" gestellt, wo er sich selbst zum Thema des Buches gemacht hat. Der Inhalt des Buches ist die Identifikation des Autors mit sich selbst. Bei Pirandello sind es die vielen Rollen des Autors; als Buchobjekt kann ein Buch - ein Text, ein Bild oder eine Partitur sein. Dann hat sich ein Buch in ein anderes geschoben, das bedeutet, dass das Buch ein Teil, ein Fragment eines allumfassenden Textes geworden ist. Der Inhalt des einzelnen Buches hat keine Bedeutung: das Buch hat keinen Anfang und kein Ende. Wenn ich von Inhalt spreche, meine ich alles: den Text und das Bild und die Seiten und den Autor und den Leser, den Menschen, der schaut, den Menschen, der versteht und den Menschen, dem dieses Buch verschlossen bleibt. Ich teile Bücher folgendermaßen ein: solche, die man im Sommer liest, mit denen man den Tisch abstützt, die gleich geschrieben wurden, die in der Nacht unter dem Mond liegen, die man berühren möchte, die nicht geöffnet wurden, die im Geschäft gestohlen wurden, die den Studenten gehören, die noch nicht geschrieben wurden. Die Liste kann man erweitern. So entsteht ein Buch.