Moderne Buchkunst seit 1960 - Eine private Sicht -  
   

Prof. Ulrike Stoltz - Deutschland

E-Mail vom 10.02.2004

 

- Warum ich Künstlerbücher mache?
Weil ich Bücher liebe. Und weil Bücher im Prinzip die ganze Welt enthalten (können): alles auf der Welt existiert, um in ein Buch zu münden, hat sinngemäß Mallarmé einmal gesagt.

- Welche Rolle spielt für mich der Text, wenn ich an einem Künstlerbuch arbeite?
Das ist sehr unterschiedlich, und hat sich im Laufe der Zeit auch geändert. Zu Beginn meiner Arbeit als Buchkünstlerin waren es im allgemeinen Texte von (lebenden oder toten) AutorInnen, die mich inspirierten. Aber schon damals gab es auch Bücher ohne Text, denn mich interessiert auch, was vor und jenseits der Sprache liegt, was man mit Worten nicht sagen kann. Davon muss man vielleicht schweigen, aber das muss nicht heißen, sich gar nicht zu äußern!
Im Zusammenhang mit der Geschichte des Buches und der Frage danach, wie Erinnerung funktioniert (das Buch als Medium des kollektiven Gedächtnisses) hat sich dann mein Interesse an sehr alten Texten entwickelt: babylonische Wahrsagebücher, altägyptische Hymnen, die sumerischen Geschichten von der Göttin Inanna, die sibyllinischen Weissagungen. Daraus sind zahlreiche Bücher, zum Teil unter Verwendung dieser Texte, zum Teil davon inspiriert, entstanden. Seit einigen Jahren bin ich dazu übergegangen, in meinen Künstlerbüchern vorwiegend meine eigenen Texte zu verwenden, gelegentlich collagiert mit Zitaten und Textfragmenten anderer AutorInnen. Neben meinen eher wissenschaftlichen Texten und solchen, in denen ich meine Arbeit vorstelle und reflektiere, schreibe ich vorwiegend experimentelle, assoziativ-lyrische Texte. Dabei greife ich auch auf Verfahren wie automatisches Schreiben zurück oder verwende verschiedene eigene "Spielregeln", um Texte zu generieren. Dazu gehört auch das Schreiben von Anagrammen, das ich seit langem betreibe. Darüber hinaus interessiert mich der Dialog, auch und gerade der experimentelle, als literarische Form. Auf diese Art haben Uta Schneider und ich bisher verschiedene Texte erarbeitet, mit deren Umsetzung in eine Reihe von Künstlerbüchern - mit dem Titel "dialoge" - wir aktuell beschäftigt sind.

Trotz dieses starken Textbezuges in meiner Arbeit kann ich nicht sagen, dass ich unbedingt und immer vom Text ausgehe. Der Beginn der Arbeit an einem Künstlerbuch kann sehr vage sein, und der Text gesellt sich, wenn überhaupt, erst später dazu. Ich arbeite ständig an Texten sowohl wie an Bildern, und beobachte dabei so etwas wie Verdichtungen, die dann in ein Buch münden. Nicht jeder Text findet sofort seinen Weg in ein Buch, und viele Bilder bleiben außerhalb der Bücher.

- Wie sollte das Verhältnis zwischen Text und Bild für Sie sein?
Text und Bild sind zunächst vollkommen eigenständig und voneinander unabhängig. Sie brauchen einander nicht. Frei und gleichberechtigt treten sie einander gegenüber und beginnen einen Dialog miteinander. Wenn ein Buch nur Bilder enthält, dann schweigt der Text und lässt den Bildern ihren Raum. Wenn ein Buch nur Text enthält, entstehen die Bilder im Kopf der Lesenden. Im Grunde ist also immer beides vorhanden.